Hunger im Südsudan: Noch können wir handeln

23.08.2014: Noch ist es möglich, der Hungersnot entgegenzuwirken.

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Hunger im Südsudan: Noch können wir handeln

Selten war eine Hungerskatastrophe so präzise vorherzusagen wie jetzt im Südsudan – doch wir verschließen unsere Augen davor. Drei Jahre ist es her, dass der Südsudan als jüngster Staat der Welt seine Unabhängigkeit erklärte. Ausgelassene Feiern, Euphorie und große Hoffnungen begleiteten diesen Prozess – die Menschen glaubten an Wandel und Fortschritt. Die gewaltigen Ölvorkommen des Landes gaben diesen Erwartungen Antrieb. Doch davon ist gegenwärtig nichts mehr zu spüren, Ende 2013 eskalierte der politische Machtkampf zwischen Staatspräsident Salva Kiir und seinem Stellvertreter Riek Machar. Der Konflikt entwickelte sich zu einem grausamen Bürgerkrieg, über 10.000 Menschen wurden bereits getötet und das Land versinkt in einer humanitären Krise.

Ein Krieg mit fatalen Folgen für Land und Leute. 1,5 Millionen Menschen im Südsudan sind auf der Flucht und es werden täglich mehr. Viele Bauern haben ihre Heimatdörfer verlassen oder konnten aufgrund der Kämpfe ihre Felder nicht bestellen. Damit ist vorprogrammiert, dass die nächsten Ernten mager ausfallen werden. Schon jetzt sind die Nahrungsmittel knapp, 4,9 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Spätestens Ende September könnten 7,3 Millionen Menschen im Südsudan von einer Hungersnot betroffen sein, warnen die Vereinten Nationen. Rund 235.000 Kinder sind mangelernährt, 50.000 davon könnten sterben, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt werden. Schon jetzt sterben täglich Kinder, wie viele tatsächlich schon umgekommen sind, ist schwer zu sagen. Zusätzlich erschwert die Regenzeit den Transport von Nahrungsmitteln auf den unbefestigten Straßen. Die Lage in den UNO-Lagern, wo die Menschen Schutz suchen, ist entsetzlich. Auf engstem Raum leben hier Zehntausende Menschen zusammen in überfluteten Unterkünften.

Noch nie war eine Hungersnot so voraussehbar, wie diese im Südsudan. Die Vereinten Nationen sprechen von der „schlimmsten Nahrungsmittelkrise weltweit“. Und trotzdem bleibt der Südsudan nur eine der „vergessenen Katastrophen“, die sich zurzeit auf unserem Nachbarkontinent abspielen – über die wir einerseits wenig erfahren und auf die wir andererseits nicht ausreichend reagieren. Im Mai haben die Geberländer der Vereinten Nationen zugesagt, mehr als 460 Millionen Euro an Hilfsgeldern für den Südsudan zur Verfügung zu stellen – Deutschland steuert 6 Millionen bei. Passiert ist seither wenig, erst Ende Juli wiederholten die Vereinten Nationen ihren Aufruf und forderten, die Zusagen einzuhalten und die Gelder aufzustocken. Um der humanitären Krise zu entkommen, fehlen laut den Vereinten Nationen 750 Millionen Euro.

Eine Frage lässt sich angesichts der dramatischen Situation kaum umgehen: Warum fällt es so leicht, das Leid Millionen hungernder Menschen in Afrika auszublenden? Sicher, der politische Konflikt der Machthaber ist die Hauptursache der Misere. Doch ist das Grund genug, dem unausweichlichen Schicksal Millionen unschuldiger Menschen, Erwachsener und Kinder, einfach seinen Lauf zu lassen? Während das volle Ausmaß der bevorstehenden Hungersnot im Südsudan erst langsam die Öffentlichkeit erreicht, füllen apokalyptische Szenarien und Berichte über das Ebola-Virus jeden Tag die Nachrichten und Zeitungen. Hilferufe und Angst, das eigene Land könnte auch irgendwie betroffen sein, machen sich breit. Die Verhältnismäßigkeit der Berichterstattung zu den beiden Krisen scheint dabei komplett verloren zu gehen. Mit Informationen zur Situation im Südsudan wird man wenig konfrontiert. An Ebola kommt jedoch keiner vorbei. Mehr als 1000 Menschen sind an dem Virus in den letzten Monaten gestorben, viele weitere sind erkrankt. Auch hier ist dringend Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft gefragt.

Auch wenn wir nicht persönlich davon betroffen sind, müssen wir helfen, wenn Menschen hungern. Um im Südsudan Hilfe zu leisten, ist kein Wundermittel nötig. Mittlerweile weiß man, wie solche Katastrophen verhindert werden können. Deshalb müssen wir jetzt handeln, nicht erst wenn Bilder verhungernder Kinder durch die Medien gehen. Soviel sollten wir aus den Hungerkatastrophen der letzten Jahrzehnte gelernt haben – sei es die Darfur-Krise oder die Hungersnot 2011 am Horn von Afrika.

In der Theorie haben wir begriffen, dass frühzeitiges Handeln wesentlich effektiver ist und deutlich mehr Leben rettet, als erst am Höhepunkt der Katastrophe einzugreifen – denn dann kommt die Hilfe für viele Menschen zu spät. Doch in der Praxis fällt es uns schwer, dies in Taten umzusetzen. Wir wissen, wie man einer drohenden Hungerkatastrophe entgegenwirken und sie bekämpfen kann. Wir wissen auch, dass sich die Hilfsorganisationen vor Ort jeden Tag dafür einsetzen, mit ihren begrenzten Mitteln so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Oft sind ihnen jedoch die Hände gebunden, da, wie im Südsudan, die zur Verfügung gestellten Gelder nicht ausreichen, um sieben Millionen Menschen zu helfen.

Vielleicht ist die Vorstellung, an Hunger zu sterben, für uns zu abstrakt, zu weit entfernt oder vielleicht auch schon zu tief in unserem Bild von Afrika verankert, sodass wir und die Staatengemeinschaft nicht mehr alarmiert aufschreien. Doch wenn wir zu lange warten, wie so oft in der Vergangenheit, wird es nicht gelingen, das Leid so gering wie möglich zu halten. Wir stehen vor einer uns wohlbekannten Entscheidung, die eigentlich keine sein sollte: Entweder wir reagieren jetzt auf eine bereits bestehende Not, oder wir warten, bis sich die Katastrophe entfaltet hat, wir Tausende von Toten beklagen und der jüngste Staat der Welt erneut ganz von vorne anfangen muss.

Mehr Informationen zu dem Thema finden Sie hier.

Foto: CARE/ Dan Alder