Energiewende nur MIT Afrika

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine lässt die Forderungen der Industriestaaten auf die Beschleunigung des Übergangs zu grüner Energie in den Hintergrund rücken. Alternativen zu russischem Gas müssen her. Und das auf Kosten der afrikanischen Energiewende.

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Energiewende nur mit Afrika

Energiewende nur MIT Afrika

Noch vor etwas weniger als einem Jahr drängte Europa die afrikanischen öl- und gasproduzierenden Staaten den Übergang zu grünen Energiequellen zu beschleunigen und zu forcieren. Mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und dem Willen der europäischen Staaten, schnellstmögliche Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas zu erlangen, rückt die Forderung nach der grünen Energiewende jedoch in den Hintergrund. Doch die Suche der Industriestaaten nach fossilen Brennstoffen außerhalb Russlands gefährdet die Energiewende Afrikas.

Der Verzicht auf fossile Energie ist nicht überall die Antwort

Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) im letzten Jahr einigten sich 19 Staaten darauf, die Finanzierung der fossilen Energien im Ausland zu beenden. Projekte, die Kohle, Öl oder Gas nutzen, sollen ab Ende 2022 nicht mehr finanziert werden. (1) Diese Entscheidung stieß wenig überraschend nicht überall auf Wohlwollen. Der senegalesische Präsident und seit Februar 2022 Präsident der Afrikanischen Union (AU), Macky Sall, kritisierte die Erklärung der COP 26 als „unilateral“. Bevor sie sich gegen die Finanzierung der Gasförderung für Afrika aussprechen, sollten die Unterzeichnerstaaten zunächst einmal vor der eigenen Haustür kehren und den Verbrauch von Kohle und Öl einstellen. Auch der nigerianische Vizepräsident Yemi Osinbajo forderte die Europäer*innen bei dem Treffen mit der EU-Delegation im März 2022 dazu auf, die öffentliche Finanzierung von Gasprojekten in Nigeria und anderen Ländern des Globalen Südens während ihres Übergangs zu einer Zukunft mit Netto-Nullemissionen nicht zu stoppen. Beide begründeten ihre Kritik und Forderungen damit, dass Gas als Brückentreibstoff für eine gerechte Wende notwendig sei, da es den betroffenen Ländern erlaube, sich zu industrialisieren und schnellen Zugang zu moderner Energie für die Bevölkerung sowie Wohlstand schaffe. (2) Erdgas kann potentiell die weit verbreitete Energiearmut auf dem Kontinent lindern und die fast 600 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika, die bisher ohne verlässliche Stromversorgung sind, mit Strom versorgen. Gleichzeitig kann der faire Handel mit der Ressource die finanziellen Mittel bieten, die Afrika für eine erfolgreiche Energiewende benötigt. (3)

Perspektivenwechsel: Europa auf Energie-Einkaufstour

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine seit März dieses Jahres veränderte den europäischen Standpunkt erheblich. Denn seither versucht Europa unabhängig von russischem Öl und Gas zu werden. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) bezieht die Europäische Union derzeit 45 Prozent ihrer Gasimporte aus Russland. (3) Mit der Absicht, dies schnellstmöglich zu ändern, sind die Europäer*innen derzeit auf weltweiter “Energie-Einkaufstour”. (2)

So standen Gasimporte bei der Afrikareise von Bundeskanzler Scholz im Mai zum Beispiel ganz oben auf der Agenda. Scholz besprach in Senegal mit Präsident Sall eine Zusammenarbeit für die Erschließung der Gasressourcen des westafrikanischen Landes. Anders als der Erdölgigant Nigeria steht Senegal noch ganz am Anfang seiner Förderung von Öl und Gas. Bis vor kurzem hatte das Land noch Schwierigkeiten, auf den internationalen Finanzmärkten Investitionskapital für seine Öl- und Gasförderung einzuwerben. Die gestiegene europäische Nachfrage ändert diese Situation. (2)

Extraktives Exportmodel schadet afrikanischer Energiewende

Doch von dem europäischen Sinneswandel profitiert die breite Masse der afrikanischen Bevölkerung am Ende am wenigsten. Denn das klassische extraktive Exportmodell trägt nur wenig zur Entwicklung afrikanischer Länder bei, wenn das Gas nicht für die eigene Industrie genutzt wird. Darüber hinaus wird der europäische Bedarf für Gas, sofern die Länder der EU ihre Ausbaupläne für erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff umsetzten, mittel bis langfristig stark zurückgehen. Damit drohen Teile von heute gebauter Gasinfrastruktur, deren Kosten sich oft erst über Jahrzehnte decken, sogenannte “stranded assets” (dt. “gestrandete Vermögenswerte”) zu werden – also Vermögenswerte, deren Ertragskraft oder Marktwert drastisch sinkt, bis hin zu ihrer weitgehenden oder vollständigen Wertlosigkeit. (2)

Wenn also in Afrikas Erdgas investiert wird, dann sollte der Brennstoff nicht einzig und allein zu Exportzwecken gefördert werden, sondern zum Großteil für die Industrialisierung des Kontinents reserviert bleiben. Denn die in Afrika vorhandenen Ressourcen könnten bis 2030 zusätzlich etwa 90 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr liefern, das wiederum für die einheimische Düngemittel-, Stahl und Zementindustrie sowie die Meerwasserentsalzung von zentraler Bedeutung sein könnte. Die gesamte CO2-Emission aus der Nutzung dieser Gasressourcen würden sich dabei in den kommenden 30 Jahren auf etwa zehn Milliarden Tonnen belaufen. Das entspräche lediglich einem Anteil von etwa 3,5 Prozent an den weltweiten Emissionen seit Beginn der Industrialisierung. (1)

Grünes Potential auf dem afrikanischen Kontinent

Gleichzeitig braucht es Investitionen in Afrikas erneuerbare Energien. Der afrikanische Kontinent verfügt über 40 Prozent des weltweiten Potentials für grünen Strom. Allerdings gehen nur etwa zwei Prozent der weltweiten Erneuerbaren-Investitionen nach Afrika. (1) So stehen in allen Afrikanischen Ländern zusammen heute insgesamt so viele Wind-Onshore- und Solar-Anlagen wie Deutschland sie bald in einem einzigen Jahr installieren will. (4) Laut dem im Juni veröffentlichten Africa Energy Outlook 2022 beherbergt Afrika etwa 60 Prozent der weltweit am besten geeigneten Solarstandorte. Gleichzeitig verfügt der Kontinent aber bisher nur über ein Prozent der globalen Photovoltaik-Kapazitäten. Bei einem nachhaltigen Ausbau können 80 Prozent der bis 2030 neu installierten Stromerzeugung Afrikas auf Erneuerbaren beruhen, darunter Sonne, Wind und Wärmeenergie. (1) Die internationale Staatengemeinschaft muss Afrika daher deutlich stärker auch im Ausbau einer nachhaltigen Energiewirtschaft unterstützen. Denn ausgehende von dem enormen Potential erneuerbarer Energien hat Afrika die Möglichkeit, zukünftig eine zentrale Rolle bei der Erzeugung und dem Export von Strom und anderen Energieträgern wie grünem Wasserstoff zu spielen und so auf lange Sicht in doppelter Hinsicht von der Energiewende zu profitieren. (4)

Quellen

1) Klimareporter: Erneuerbare für Afrika statt Erdgas-Suche für Europa (Juni 2022)

2) Heinrich-Böll-Stiftung: Die Suche Europas nach Gasressourcen in Afrika (Juni 2022)

3) African Energy Chamber: Es ist an der Zeit, dass sich Europa und Afrika auf ein grünes Gasabkommen einigen (April 2022)

4) Deutsche Energie-Agentur: Gewaltige Potenziale Afrikas für erneuerbare Energien endlich besser nutzen (Juni 2022)

Verfasst am 21.9.2022