„Woran denkt ihr, wenn ihr an Afrika denkt?“ – diese Frage stellt Karim Fereidooni, Lehrer und Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung, seiner siebten Klasse in Stuttgart. Die einzige positive Antwort: die Pyramiden. Ansonsten nennen die Schüler*innen Armut, Hunger, Dürre, Aids, Kriege, Lehmhütten und staubige Straßen. Dieses stereotype Bild kommt nicht von ungefähr. Es spiegelt wider, wie Afrika oft in den Medien und – wenn überhaupt – in deutschen Schulbüchern dargestellt wird: Ein vermeidlicher Krisenkontinent, geprägt von Problemen. Fortschritt, Vielfalt und Innovation spielen kaum eine Rolle. Die Art und Weise, wie Afrika in Schulen dargestellt wird, hat Einfluss auf das Weltbild und die Wahrnehmung globaler Zusammenhänge junger Menschen sowie auf den Umgang mit Rassismus.Stereotype in SchulbüchernEin Beispiel des Schulbuchs Heimat und Welt des Westermann Verlags zeigt, wie unbewusst Hierarchien geschaffen werden. Drei Bilder sind übereinander angeordnet. Ganz oben ist eine moderne Eigentumswohnung in einer deutschen Großstadt zu sehen. Herr und Frau Wagner werden als zufriedene Menschen beschrieben, die in einem Interview von ihrem Alltag erzählen. In der Mitte folgt eine Arbeitersiedlung in Nordbrasilien. Hier wird berichtet, wie Pedro und sein Dorf es aus eigener Kraft geschafft haben, ihre Lebensbedingungen zu verbessern – niemand muss mehr hungern. Ganz unten schließlich eine Lehmhütte in Äthiopien. Die dort gezeigten Menschen bleiben namenlos. Statt persönlicher Geschichten wird lediglich ihre äußere Erscheinung und die trockene Umgebung beschrieben.Die Anordnung von oben nach unten suggeriert eine klare Rangordnung. Hinzu kommt die unterschiedliche Sprache: Während Herr und Frau Wagner mit Nachnamen genannt werden, erhält Pedro nur einen Vornamen – die Menschen in Äthiopien bleiben völlig anonym. Die Wahl der Architektur verstärkt diese Stereotype zusätzlich. Da keine weiteren afrikanischen Wohnformen gezeigt werden, entsteht der unausgesprochene Eindruck, dass alle Menschen in Afrika in Lehmhütten leben – was nicht der Realität entspricht. Solche in Schulbüchern verbreiteten Stereotype über Afrika tragen zur Entstehung eines eindimensionalen und verzerrten Bildes des Kontinents bei.Kolonialismus im UnterrichtVereinfachte Darstellungen, die häufig mit Hierarchien und ungleichen Lebensrealitäten spielen, haben auch Einfluss auf das Verständnis komplexer historischer Zusammenhänge. Das zeigt sich insbesondere beim Umgang mit der europäischen und deutschen Kolonialvergangenheit, die immer wieder kritisiert wird. Doch wie genau wird Kolonialismus in deutschen Schulbüchern dargestellt? Die Analyse von Steffen Vogel, die einen Blick in die drei größten Schulbuchverlage Cornelsen, Klett und Westermann wirft, zeigt deutliche Unterschiede – und große Lücken.So widmet der Cornelsen Verlag dem Kolonialismus gerade einmal eine von 700 Seiten. In einer Karikatur wird der britische Kolonialherr Cecil Rhodes dargestellt, wie er ein Telegrafenkabel über den afrikanischen Kontinent spannt. Doch anstatt kritisch auf seine Rolle als treibende Kraft des Kolonialismus einzugehen, wird er als visionärer Unternehmer inszeniert. Der Hinweis auf die deutschen Kolonialkriege gegen die Herero und Nama bleibt eine Randnotiz – Schüler*innen sollen sich selbst über die Hintergründe informieren. Und auch beim Klett Verlag liegt der Fokus hauptsächlich auf der innen- und europapolitischen Bedeutung der Kolonien. Die Verbrechen, die im Zuge der kolonialen Expansion begangen wurden, bleiben dabei oft ungenannt – der Genozid an Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika wird gar nicht erwähnt. Der Westermann Verlag hingegen geht deutlich tiefer in die Thematik. Er widmet dem Kolonialismus acht Seiten, mit einem klaren Schwerpunkt auf Deutsch-Südwestafrika und den Verbrechen an den Herero und Nama, dem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts.Dass Kolonialismus kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte ist, zeigt sich in aktuellen Debatten, etwa um Straßennamen oder Entschädigungen. Auch hier setzt der Westermann Verlag Akzente: Schüler*innen analysieren Bundestagsdebatten zum Umgang mit dem Völkermord an den Herero und Nama sowie historische Forderungen des Herero-Vertreters Vekuii Rukoro und sollen sich selbst zur Frage der Entschädigung positionieren – ein Ansatz, der Kontroversität, Multiperspektivität und Gegenwartsbezug vereint. Im Cornelsen Verlag hingegen bleibt die Erzählung oberflächlich – oft auf wirtschaftliche Aspekte reduziert oder durch unkommentierte Karikaturen relativiert.Die Analyse, der hier im Mittelpunkt stehenden großen deutschen Schulbuchverlage macht deutlich: Solange Schulbücher Kolonialismus verharmlosen oder ausklammern, liegt es an den Lehrkräften, welche Perspektiven vermittelt werden.Der Umgang mit Rassismus in DeutschlandDie Aufarbeitung von Kolonialismus steht im engen Zusammenhang mit dem Umgang von Rassismus, dessen Wurzeln in der kolonialen Vergangenheit zu finden sind. Die Pseudowissenschaft vermeintlicher „Menschenrassen“ diente dazu, die systematische Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung der Kolonisierten zu legitimieren und wirkt auch heute in Sprache und Gesellschaftsstrukturen nach. Auch hier zeigt die Schulbuchanalyse von Steffen Vogel Unterschiede und große Lücken. Während im Cornelsen Verlag jeglicher Hinweis auf Rassismus fehlt, geht Westermann zumindest einen Schritt weiter. In einem Infokasten erfahren die Schüler*innen, dass rassistische Sprache bis in die Gegenwart wirkt und abwertende Bezeichnungen werden zumindest zum Teil kritisch hinterfragt, an anderer Stelle jedoch wieder unreflektiert reproduziert.Dass Rassismus nicht nur in Sprache, sondern auch in diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen sowie im ungleichen Zugang zu Macht und Ressourcen bis heute fortbesteht – all das müssen sich die Schüler*innen meist selbst erschließen.Wie rassistische Schulbuchinhalte Schwarze Kinder belastenDie einseitige und rassistische Darstellung in Schulbüchern hinterlässt Spuren – nicht nur in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, sondern auch in der Psyche Schwarzer Kinder. Sie reproduziert nicht nur stereotype Bilder, sondern kann auch ihr Selbstbild und ihr Wohlbefinden nachhaltig beeinflussen.Der Psychologe Zami Khalil beschreibt in Heimatkunde, einer Publikationsreihe der Heinrich-Böll-Stiftung, dass rassistische Sozialisierung bereits in der frühen Kindheit beginnt. Kinder lernen früh, gesellschaftliche Machtverhältnisse anhand rassifizierter Kategorien zu interpretieren. Doch viele Schulbücher und Bildungsmedien transportieren weiterhin rassistische Stereotype. Dadurch werden Schwarze Kinder immer wieder mit Darstellungen konfrontiert, die sie als „anders“, „exotisch“ oder „minderwertig“ zeigen.Die fortwährende Konfrontation mit solchen Bildern bleibt nicht ohne Folgen. Sie prägt das Selbstbild Schwarzer Kinder und kann langfristig zu einem Gefühl der Unterlegenheit führen, das bis ins Erwachsenenalter nachwirkt. Khalil beschreibt dies als eine psychische Belastung, die Schwarze Menschen dazu zwingt, sich permanent gegen rassistische Stereotype zu behaupten. Der dadurch erzeugte enorme Stress kann sich negativ auf das psychische Wohlbefinden, die schulischen Leistungen und die allgemeine Lebensqualität auswirken.Perspektiven für die ZukunftDie Darstellung Afrikas in deutschen Schulbüchern hat einen erheblichen Einfluss auf das Bild, das Schüler*innen vom Kontinent entwickeln. Stereotype und vereinfachte Darstellungen, vor allem in Bezug auf Kolonialismus und Rassismus, prägen das Verständnis globaler Zusammenhänge und fördern ein verzerrtes Weltbild. Damit einher geht die Gefahr, dass Schwarze Kinder durch diese Darstellungen in ihrer Identität belastet werden.Was bedeutet das konkret?Bewusstsein bei Lehrkräften: Lehrkräfte müssen für die problematischen Darstellungen sensibilisiert werden, was durch gezielte Fortbildungen und Reflexion im Unterricht unterstützt werden kann.Politische und systematische Veränderungen: Langfristig müssen strukturelle Veränderungen in der Bildungslandschaft erfolgen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit und deren Auswirkungen auf die Gegenwart sollte in die Lehrpläne integriert werden. Hier sind nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Bildungspolitik und Schulbuchverlage gefragt, aktiv Verantwortung zu übernehmen und die Inhalte nachhaltig zu verändern.Inklusion und Diversität: Afrikas Vielfalt muss in all ihren Formen sichtbar werden – von modernen urbanen Zentren bis hin zu traditionellen Lebensweisen. Ein vielfältigeres Bild Afrikas im Unterricht stärkt das Verständnis und den Respekt für alle Kulturen und trägt zu einer gerechteren Gesellschaft bei.QuellenRosa Luxemburg Stiftung: Kolonialismus im Schulbuch (August 2020)Stuttgarter Nachrichten: Sollte der Lehrplan geändert werden? (November 2021)Heinrich Böll Stiftung: Psyche und Passismus: "Wenn du etwas werden willst, musst du doppelt so viel leisten" (März 2023)Elina Marmer, Papa Sow und Aram Ziai: Der verstecke Rassismus - "Afrika" im Schulbuch (März 2016)peDOCS: Rassismus in deutschen Schulbüchern am Beispiel von Afrikabildern (Februar 2013)Verfasst im März 2025