Fairer geht‘s nicht? Warum einigen Start-ups der Faire Handel von Kakao noch nicht fair genug ist

Ist der Faire Handel mit zertifiziertem Kakao tatsächlich die beste und einzige aller Lösungen? Oder geht da vielleicht noch mehr? Junge Start-ups versuchen, den noch immer bestehenden Ungerechtigkeiten mit anderen Ansätzen zu begegnen.

Immer mehr Menschen greifen bewusst zur Fair-Trade-Schokolade, um sich damit auch für fairere Bedingungen in der Kakao-Industrie stark zu machen. Denn noch immer lebt die Mehrheit der Kakaobäuerinnen und -bauern unter der Armutsgrenze (1). Im Schnitt verdient ein Kleinbauer oder eine Kleinbäuerin rund 0,76 Euro am Tag. Nach einer Schätzung von Fairtrade International liegt das Existenzminimum jedoch bei umgerechnet ca. 2,19 Euro am Tag.

In der herkömmlichen Wertschöpfungskette von Schokolade findet die komplette Weiterverabreitung nicht in den Erzeugerländern statt. Die Bohnen werden nach der Ernte exportiert, die Wertschöpfung in Ländern des Globalen Nordens, wie z. B. Deutschland verlagert. Zahlreiche Akteure verdienen daran – für die Kakaobäuerinnen und -bauern selbst bleiben am Ende nur zwischen 6 und 7 Prozent des Kaufpreises einer Tafel Schokolade. Unfair, oder?

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Fairer Handel ist ein erster, wichtiger Schritt

Die Qualitätsstandards, Siegel und Kampagnenarbeit haben dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen ein Bewusstein für einen Fairen Handel entwickelt haben und ihr Kaufverhalten ändern. Millionen von Produzent*innen wurde dadurch bereits zu einem besseren Leben verholfen. Aber ist Fairer Handel allein wirklich das bestmögliche und fairste System? Oder geht da noch mehr?

Mehr als fair

Das Start-up Fairafric beschreitet bei der Produktion seiner Schokolade einen anderen Weg. Von der Bohne bis zur fertig verpackten Tafel findet der Herstellungsprozess der fair und seit 2017 in Bio-Qualität produzierten Schokolade im westafrikanischen Ghana statt. Auf diese Weise verlegte das Unternehmen quasi die komplette Wertschöpfungskette in das Erzeugerland und schaffte damit vor Ort eine eigene Infrastruktur für die Schokoladenherstellung. Das bringt nicht nur viele qualifizierte Arbeitsplätze, sondern auch eine erhebliche Steigerung des Einkommens für die Kakaobäuerinnen und –bauern. Und natürlich eine Schokolade, die von sich behaupten kann, komplett "Made in Africa" zu sein.

Künftig will Fairafric noch mehr für Kakaofarmer*innen und den Umweltschutz tun:

  • Durch eine Crowdfunding-Kampagne will Fairafric eine Stiftung ins Leben rufen, die im Namen der Kakaobäuerinnen und -bauern Anteile an dem Unternehmen hält. Dadurch sollen nicht nur die direkten Beziehungen verbessert werden, sondern die Kakaobäuerinnen und -bauern partizipieren direkt am Wachstum und Gewinn.
  • Um die Verpackung der Schokolade umweltfreundlicher zu gestalten, soll künfig anstatt Aluminumfolie eine kompostierbare Folie aus Holzzellulose verwendet werden.
  • Nachdem Fairafric bereits das Bio-Siegel erhalten hat, möchte man in einem nächsten Schritt die Schokolade komplett klimaneutral produzieren. Alle Treibhausgas-Emissionen, die in Verbindung zur Produktion, Vertrieb, etc. stehen, sollen durch Investitionen in Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden.

Unabhängigkeit ist ein hohes Gut

Auch Priscilla und Kimberly Addison staunten nicht schlecht, als sie erfahren haben, dass Ghana zwar der zweitgrößte Kakaoproduzent der Welt ist, selbst aber kaum Schokolade produziert. „Wenn Länder wie die Schweiz oder Belgien ohne eine einzige Kakaoplantage zu einer Schokoladennation werden können, wie kann es sein, dass Ghana nur einen einzigen Produzenten hat?“, dachten sich die ghanaischen Schwestern, die besonders während des Besuches einer Schokoladenfabrik von Maison Callier in der Schweiz inspiriert wurden. Ohne jeglichen kulinarischen Hintergrund, geschweige denn Erfahrung in der Schokoladenherstellung, entschlossen die beiden sich im Jahr 2014 dazu, ihre eigene Schokolade „Made in Ghana“ zu produzieren.

Bevor sie 2016 ihre erste komplett handgemachte Schokolade auf den Markt brachten, besuchten sie diverse Kurse zur Schokoladenherstellung, lasen Fachliteratur, schauten YouTube-Tutorials, sprachen mit Kakaobäuerinnen und -bauern auf den Feldern und suchten Rat und Unterstützung bei Menschen, die bereits im Kakaosektor tätig waren. Die Rezepte für ihre Schokolade entwickelten sie durch Ausprobieren („trial and error“), mit ihren Freunden und ihrer Familie als „Vorkoster“.

Ein großer Ansporn für Priscilla und Kimberly Addison war und ist es, die Menschen in Ghana und anderen afrikanischen Ländern – insbesondere die Jugend – dazu zu ermutigen, nicht einfach nur die natürlichen Ressourcen und Rohstoffe des Landes zu verkaufen, sondern ihre Kreativtät und ihren Verstand zu nutzen, um daraus selbst großartige Produkte von hoher Qualität zu entwickeln und herzustellen.
Damit das Geld, das sie mit ihrer Schokolade erwirtschaften, auch im Land bleibt, arbeiten sie so gut wie möglich ohne importierte Zutaten und lassen auch die Verpackung vor Ort herstellen. So wollen sie langfristig die Wirtschaft des Landes stärken und Gleichgesinnte aus anderen Bereichen dazu inspirieren, einen ähnlichen Weg zugehen.

Nicht zufällig haben die Schwestern ihre Schokolade „’57 Chocolate“ genannt – die Zahl im Namen erinnert an die ghanaische Unabhängigkeit im Jahr 1957.