Nahrungsmittelspekulation – Der Handel mit dem Hunger 

Klimakrise, Pandemie und Konflikte werden immer wieder als Ursachen für den Anstieg der Lebensmittelpreise genannt. Doch eine wichtige vierte Komponente wird oft außenvor gelassen: Nahrungsmittelspekulation. Sie trägt zu den enormen Preisanstiegen bei und verschärfen die ohnehin prekäre Ernährungssituation weiter.

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Nahrungsmittelspekulation – Der Handel mit dem Hunger 

In den letzten Monaten sind die Lebensmittelpreise auf ein noch nie dagewesenes Niveau gestiegen und haben die ohnehin schon prekäre Ernährungssituation in weiten Teilen der Welt weiter verschärft. Laut dem Globalen Bericht zur Nahrungsmittelkrise (Global Report on Food Crisis) der Vereinten Nationen, der am 4. Mai veröffentlicht wurde, waren im Jahr 2021 193 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Das entspricht einem Anstieg von fast 40 Millionen Menschen im Vergleich zum bisherigen Höchststand im Jahr 2020. Allein in den vier Ländern Äthiopien, Südsudan, Madagaskar und dem Jemen waren im Jahr 2021 mehr als eine halbe Millionen Menschen von einer Hungerkatastrophe betroffen. Der Bericht macht dafür die “toxische Dreifachkombination” aus Klimakrise, den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und den Konflikten der letzten zwei Jahre verantwortlich. (1)  

Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in die Ukraine hat sich die Situation in diesem Jahr noch verschlimmert. Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschnellt und es kommt zu Lieferunterbrechungen von zwei der wichtigsten globalen Lieferant*innen von Agrarrohstoffen. Bereits im letzten Jahr ist der Lebensmittelpreisindex der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) um 26 Prozent gestiegen und der Getreideindex hat sich um rund 30 Prozent erhöht. Dieses Jahr sind die Preise von Weizen schon um 61 Prozent gestiegen. (2) 

Doch Klimakrise, Pandemie und Konflikte und die damit einhergehenden Veränderung der grundlegenden Faktoren von Angebot und Nachfrage sind nicht die einzigen Ursachen für den Anstieg der Lebensmittelpreise, wie eine Untersuchung von Lighthouse Reports, einer gemeinnützigen Nachrichtenagentur, zeigt. Demnach tragen exzessive Spekulationen von Investmentfirmen und Fonds auf den Rohstoffmärkten zu den enormen Preisanstiegen bei. (2) 

Die Finanzialisierung der Agrarrohstoffmärkte 

Von Nahrungsmittelspekulation wird dann gesprochen, wenn Anleger*innen auf dem Rohstoffmarkt auf steigende oder fallende Rohstoffpreise an den Nahrungsmittelbörsen setzen, in der Hoffnung, Gewinne zu erzielen. (5) Der Trend zunehmender Nahrungsmittelspekulationen setzte bereits Anfang 2000 ein und trug in der Folge schon zwei Mal zu Hungerkrisen bei: 2007/2008 und 2011. In diesen Jahren sind die Weltmarktpreise für wichtige Grundnahrungsmittel wie Mais, Reis und Weizen binnen kürzester Zeit explodiert. (3) 

Das nicht allein Angebot und Nachfrage für die Preisschwankungen verantwortlich sind, zeigt sich darin, dass es nicht immer, wenn Preise steigen, auch große Angebotsengpässe auf den realen Märkten gab. So war die globale Weizenernte 2010 gut und dennoch stiegen die Preise nach einem vergleichsweise kleinen Ausfall in Russland rapide an. (4) Gleiches zeigt sich aktuell wieder: Nach jüngsten Schätzungen der FAO vom 8. April, also nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, wird das Verhältnis zwischen Beständen und Verbrauch im Zeitraum 2021-2022 nur geringfügig zurückgehen. Das Ausmaß des Preisanstiegs lässt sich also nicht allein durch Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln erklären. (2) 

Die Folgen der Wetten auf den Hunger 

Besonders Menschen des Globalen Südens treffen die Preisschwankungen hart, denn Haushalte geben dort bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Zum Vergleich: In Deutschland sind es nur etwa zehn Prozent. Menschen mit weniger finanziellen Ressourcen können aufgrund des Preisanstiegs weniger Nahrungsmittel kaufen, manche werden sogar komplett unerschwinglich. Zusätzlich bleibt weniger Geld für Gesundheitsversorgung und Bildung übrig. (3) 

Über die unmittelbare Nahrungsmittelknappheit hinaus gibt es aber auch längerfristige und ebenso Besorgnis erregende Auswirkungen: Mikronährstoffmangel, von Expert*innen häufig auch “versteckter Hunger” genannt. Dieser tritt auf, wenn die Aufnahme von Vitaminen und Mineralien nicht ausreicht, um eine gute Gesundheit und Entwicklung zu gewährleisten. Die Auswirkungen des versteckten Hungers können Studien zufolge zu psychischen Beeinträchtigungen, schlechter Gesundheit, geringer Produktivität und sogar zum Tod führen. (2)  

Doch nicht nur für die Verbraucher*innen von Nahrungsmitteln haben die Preisschwankungen Folgen. Auch Nahrungsmittelerzeuger*innen leiden unter den Preisschwankungen auf den Agrarrohstoffmärkten, da es für sie besonders wichtig ist, sich auf langfristig stabile Preise verlassen zu können, um zu planen und ihre Lebens- und Existenzgrundlage zu sichern. (3)  

Notwendige Maßnahmen  

Da die Mechanismen hinter der Lebenmittelspekulation nicht vollständig transparent, ihre Folgen unberechenbar und Preise nicht mehr durch realwirtschaftliche Angebots- und Nachfrageschwankungen erklärbar sind, fordern Expert*innen eine stärkere Regulierung der Nahrungsmittel-Finanztransaktionen. (3) 

Nach der Krise von 2008 gab es bereits öffentliche und politische Unterstützung für eine Reform der Rohstoffmärkte. Sowohl in den USA als auch in der Europäischen Union verabschiedeten die Gesetzgeber*innen Gesetze zur Bekämpfung exzessiver Spekulationen. Doch auf beiden Seiten des Atlantiks versäumten es die Regulierungsbehörden, die ihnen aufgetragenen Regeln umzusetzen. (2) 

Wenn die diesjährige Ernte in der Ukraine dieses Jahr ausfällt, könnten laut FAO weltweit über 13 Millionen Menschen zusätzlich Hunger leiden. Die Ukraine produziert 26 Millionen Tonnen Weizen jährlich – Weizen, das zumindest zum Teil dieses Jahr auf dem Weltmarkt fehlt. Wenn die Europäische Union zum Beispiel die EU-Schweine- und Hühnerproduktion reduzieren würde, könnte sie diese Menge problemlos ersetzen und auf dem Weltmarkt zur Verfügung stellen.  (6) 

Hunger ist ein Problem mit vielen Ursachen. Steigende Preise von Grundnahrungsmitteln sind darin ein Aspekt und die Begrenzung und Kontrolle von Nahrungsmittelspekulation ist als eine mögliche Maßnahme von vielen zu verstehen. Diese ist dennoch dringlichst geboten. Der Profit von Finanzakteur*innen darf nicht vor das Menschenrecht auf Nahrung gestellt werden!  

Quellen

(1) World Food Programme: Global Report on Food Crisis – 2022 (Mai 2022)

(2) The Wire: Speculation is Contributing to Global Food Insecurity Significantly (Mai 2022)

(3) Bundeszentrale für politische Bildung: Nahrungsmittelspekulation – mit Essen spielt man nicht (Oktober 2016)

(4) Oxfam: Nahrungsmittelspekulation

(5) Brot für alle/ Fastenopfer: Nahrungsmittelspekulation (September 2013)

(6) Rosa Luxemburg Stiftung: Über Weizen, Welthunger und heilige Schweine (2022)

Verfasst am 7.6.2022