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Samia Suluhu Hassan: Erstmals ist eine Frau Präsidentin Tansanias

Am 19. März 2021 wurde Samia Suluhu Hassan als erste Präsidentin Tansanias vereidigt. Sie ist somit eine von nur zwei weiblichen Staatsoberhäuptern auf dem afrikanischen Kontinent. Die Öffentlichkeit ist sich unsicher, ob sie dem autokratischen Kurs ihres Vorgängers John Magufuli folgen wird oder nicht.

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Samia Suluhu Hassan: Erstmals ist eine Frau Präsidentin Tansanias

Die 61-jährige Samia Suluhu Hassan wurde auf der semi-autonomen Insel Sansibar geboren und studierte in Tansania, Großbritannien und den USA. Sie arbeitete für die Welthungerorganisation, in der Regionalregierung Sansibars und wurde 2010 in das tansanische Parlament gewählt. 2015 ernannte John Magufuli sie zur Vizepräsidentin Tansanias. Zudem setzte sie sich in ihrer Laufbahn immer wieder für die Rechte und Chancen von Frauen ein.  

Tod des ehemaligen Präsidenten John Magufuli 

Am 17. März 2021 verkündete Samia Suluhu Hassan, dass ihr Vorgänger John Magufuli aufgrund seines Herzleidens verstorben sei. Die Opposition geht allerdings davon aus, dass er den Folgen einer Covid-19-Infektion erlegen sein könnte. Zu Lebzeiten verbreitete John Magufuli Falschinformationen über das Coronavirus und war einer der prominentesten Coronaleugner. Seit Mai 2020 gab Tansania keine offiziellen Coronainfektionszahlen mehr bekannt.  

Doch Magufuli schadete Tansania nicht nur durch die Falscheinschätzung des Coronavirus. In seiner fünfjährigen Amtszeit, seit 2015, verwandelte er die relativ stabile Demokratie Tansanias in eine Autokratie. Er unterdrückte Oppositionelle, kritische Stimmen sowie Journalistinnen und Journalisten. Oppositionsführer Zito Kabwe gab an, bei seinen Untersuchungen in drei Provinzen Tansanias hätte sich herausgestellt, dass etwa 400 Regimegegner verschwunden seien. Die Wahlen im Jahre 2020 galten als unfrei. Von Befürworterinnen und Befürwortern hingegen wurde Magufuli aufgrund seines Auftretens, seiner Infrastrukturprojekte und seines Kampfes gegen die Korruption unterstützt. 

Sorgt Samia Suluhu Hassan für eine neue politische Richtung in Tansania? 

Samia Suluhu Hassan ist seit 2015 Vizepräsidentin Tansanias, stand allerdings nur selten in der Öffentlichkeit. Nun stellt sich die Frage, ob Hassan den autokratischen Weg ihres Vorgängers weitergeht oder sich wieder mehr der Demokratie zuwenden wird. Zweifler erinnern an Kommentare Hassans bei einer Wahlkampfveranstaltung, bei der sie sagte, dass es egal sei, ob man die Regierungspartei CCM bei den Wahlen unterstütze oder nicht und die CCM sowieso gewinnen würde. Es gibt allerdings auch optimistische Stimmen, so auch von Oppositionsführer Zito Kabwe, der meint, dass es allein schon positiv wäre, dass nun erstmals eine Frau Tansania regiere. Auch die Wirtschaft könnte sich unter Hassan erholen, anders als ihr Vorgänger Magufuli heißt es, sie wolle den Privatsektor wieder stärker fördern. 

Zudem soll ihr Führungsstil sich von dem ihres Vorgängers stark unterscheiden: Hassan gilt als introvertierte und nachdenkliche Persönlichkeit. Magufuli hingegen wurde aufgrund seines unkonventionellen Auftretens auch “Bulldozer” genannt. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Hassan im Alleingang regieren wird, stattdessen wird sie eher auf Ratschläge von beratenden Personen achten. Es wird sich zeigen, ob Samia Suluhu Hassan echte Veränderungen in Tansania bewirken kann oder dem autokratischen Vorbild ihres Vorgängers folgt. 

Quellen:

„Samia Suluhu Hassan wird Tansanias erste Präsidentin“ in DW vom 19.03.2021.

Schaap, F. / „Eine Chance für Tansania“ in Der Spiegel vom 27.03.2021.


Die Kanga – mehr als ein Kleidungsstück

Wer in Ostafrika, besonders in Tansania und Kenia, unterwegs ist, wird die als „Kanga“ bezeichneten bunten Tücher nicht übersehen können, denn sie sind allgegenwärtig. Ein guter Grund, sich einmal näher mit dem Kleidungsstück, seiner sozio-kulturellen Bedeutung und Geschichte auseinander zu setzen.

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Die Kanga – mehr als ein Kleidungsstück

_©GfA, Adaption der Grafik „Orthographic map of Africa“ von Martin23230 (wikipedia.org), CC 3.0

„Kernländer“ um die großen Seen in Ostafrika, in denen die Kanga hauptsächlich getragen wird

In Tansania, Kenia und anderen ostafrikanischen Ländern um die großen Seen sieht man immer wieder Menschen, ganz besonders Frauen, die in farbenfrohe Tücher gekleidet sind. Diese heißen „Kanga“ und werden im Alltag, aber auch zu besonderen Anlässen verwendet und getragen. Die Tücher sind 1.5 Meter mal 1 Meter groß und werden meist als Paar verkauft. Es gibt die Tücher in den verschiedensten Farben und Mustern, aber eines haben alle Kangas gemeinsam (und dadurch unterscheiden sie sich von anderen Materialien in Ostafrika, aus denen Kleidung gemacht wird): Sie haben eine dreiteilige Aufgliederung.

_©Mark Dingemanse, CC 2.5 Generic

Jede Kanga hat einen Rahmen (pindo) (1) mit einem Muster. Der zentrale Teil innerhalb des Rahmens (mji) (2) kann ein Muster oder ein Bild sein und sticht dem Betrachter zuerst ins Auge. An der unteren Seite des zentralen Musters ist ein Spruchband (jina) (3) auf Kisuaheli gedruckt – und das ist es eigentlich, was die Kanga besonders und leicht von anderen Stoffen unterscheidbar macht. Dieses Spruchband übermittelt dem Betrachter bzw. der Betrachterin eine Nachricht. Oft handelt es sich um ein Sprichwort oder einen Wunsch, es kann aber auch eine politische oder gesellschaftskritische Botschaft sein. Dadurch kann die Kanga auch einen emanzipatorischen Aspekt haben bzw. Mittel des (politischen) Widerstands sein, denn Frauen können so Botschaften übermitteln, die sie nie öffentlich verbalisieren. Aber auch im Alltag können Botschaften so indirekt übermittelt werden ohne etwas „sagen“ zu müssen – die beteiligten Personen verstehen dies jedoch. Ein Beispiel:

„Frau Hafswa bekam von ihrer Nachbarin Frau Yasmin eine Kanga geschenkt mit der Aufschrift „Ataka yote hukosa yote“ (Wer alles will, verliert normalerweise alles). Darüber ärgerte sich Frau Hafswa sehr und konfrontierte Frau Yasmin, indem sie sie fragte, warum sie ihr ausgerechnet diese Kanga geschenkt habe. Aber Frau Yasmin verweigerte das Gespräch indem sie sagte, dass sie nicht lesen kann und damit die Bedeutung des Spruches gar nicht verstanden hat. Das glaubte Frau Hafswa ihr nicht, denn es ist allgemein bekannt, dass auch Frauen, die nicht lesen und schreiben können, an der Kommunikation über die Kanga teilnehmen. Aber sie musste es dabei belassen und mit ihren Gefühlen der Wut und Entwürdigung klar kommen. Dieser Zwischenfall ereignete sich kurz bevor Frau Hafswa sich von ihrem Ehemann, einem sehr etablierten Mann in der Gemeinschaft, trennte. Mit diesem Geschenk der Kanga hatte sie das Gefühl, für das Scheitern der Ehe verantwortlich gemacht zu werden und dass die Menschen über sie lästerten. Sie empfand das Geschenk als ungerechtfertigte Einmischung in ihre privaten Angelegenheiten und Verletzung ihrer Privatsphäre. Außerdem sah sie die Aktion der Nachbarin als Ausdruck von Eifersucht und ihrer heimlichen Freude über das Scheitern der Ehe.“

Übersetzung aus dem Englischen aus: Ambiguous signs: The role of the Kanga as a medium of communication, Rosemarie Beck (2001)

Kommunikation über Tabuthemen

Durch die Kommunikation über die Kanga können also Bereiche des alltäglichen Lebens angesprochen werden, die normalerweise mit Tabus und Sprechverboten belegt sind. Dazu gehören z. B. größere Konflikte, Neid, Eifersucht, Unzufriedenheit (negative Höflichkeit), aber auch Sexualität und zu einem gewissen Grad auch Ratschläge (positive Höflichkeit). Solche Sprechverbote gelten für alle Mitglieder der muslimischen Gesellschaften der ostafrikanischen Küste, insbesondere aber für Frauen. Diese Themen werden als besonders brisant angesehen, da sie die Privatsphäre der Menschen betrifft, welche in den Gesellschaften einen sehr hohen Stellenwert hat. Der Verlust der Privatsphäre oder ihre Verletzung wird gleichgesetzt mit dem Verlust der Ehre (heshima). Auf der kommunikativen Ebene erzeugt die Kanga eine interessante Situation, da über die Themen kommuniziert, nicht aber gesprochen wird. In der oben beschriebenen Situation zwischen Frau Hafswa und Frau Yasmin wird dies durch Frau Yasmin deutlich indem sie das Gespräch verweigert und den Konflikt nicht verbalisieren möchte. Der Konflikt selbst wird damit nicht besprochen, sondern die Kommunikation zwischen den beiden Frauen dreht sich ersteinmal darum, ob es überhaupt eine Kommunikation über einen Konflikt mit dem Mittel der Kanga gab oder nicht.

An der ostafrikanischen Küste, die von der Swahili-Kultur geprägt ist, wird eine soziale Hierarchie zwischen Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Herkunft wahrgenommen. In Kontexten mit negativer Höflichkeit, wie in der Geschichte beschrieben, wird die Kanga oft „von unten nach oben“ als Kommunikationsinstrument genutzt (Frau Yasmin gibt an, nicht lesen zu können, was ihren niederen sozialen Status gegenüber Frau Hafswa betont). Das heißt, dass beispielsweise junge Frauen mit niedrigerem sozial-ökomonischen Status älteren Frauen mit höherem sozial-ökonomischem Status eine kritische Botschaft mittels der Kanga übermitteln können. Eine positive Höflichkeit wie ein Ratschlag hingegen wird meistens „von oben nach unten“ kommuniziert.

Augen auf beim Verschenken einer Kanga

Heute werden Kangas gerne zu allen möglichen Anlässen verschenkt – auch z. B. Gäste in Projekten bekommen oft eine Kanga als Willkommens- oder Abschiedsgeschenk überreicht. Verschenkt man eine Kanga, sollte man sich vorher immer genau darüber informieren, was der Spruch genau bedeutet. Denn verschenkt man eine Kanga mit einem freudigen Spruch für eine Hochzeit zum Anlass einer Beerdigung, kann dies die Beziehungen stark und nachhaltig beschädigen. Bei besonderen Ereignissen, wie z. B. der Wahl von Barack Obama 2009 zum ersten schwarzen Präsidenten oder dem 50. Jahrestag der Universität Dar es Salaam, werden oft spezielle Kangas gedruckt, die sich auf diese Ereignisse beziehen.

Kanga, die an das 50jährige Bestehen der Universität Dar es Salaam erinnert (1961 – 2011)

Kanga mit Glückwünschen (Hongera) für den neu gewählten Präsidenten Barack Obama

„Ahsante“ bedeutet „Danke“

Sozial-geschichtlicher Hintergrund

Die Kanga ist vermutlich in den 1880er Jahren auf Sansibar „erfunden“ worden. Sie spielte eine wichtige Rolle in der Emanzipation der Sklaven und ihrer Integration in die muslimische Swahili-Gesellschaft an der ostafrikanischen Küste. Als Symbol für ihre Emanzipation wies sie sowohl auf ihren „neuen“ Status als Mitglied der Gesellschaft hin als auch auf ihre Herkunft aus der Bevölkerungsgruppe der Sklaven. Die Muster beispielsweise sind inspiriert von der handgefertigten Kleidung reicher Frauen. Durch das Tragen einer solchen Kanga drückte die Frau ihr Wissen über kulturell wichtige Muster aus und bekräftigte ihr Zugehörigkeitsgefühl als Mitglied der Gesellschaft. Auf der anderen Seite waren diese Tücher nicht „das Original“, da die Muster auf die Stoffe maschinell aufgedruckt und nicht durch Handarbeit aufgenäht waren. Dies verwies auf ihren Status am Ende der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Mit der Zeit werden neue Formen und Muster aufgenommen (zum Beispiel Muster, die neue Erfindungen wie Uhren und Flugzeuge symbolisieren) und in dem Kleidungsstück verarbeitet, sodass Kangas sowohl Innovation als auch Konservativismus ineinander vereinen können.

Das Wort „Kanga“ kommt wahrscheinlich von dem Kisuaheli-Wort „kukanga“, das auf Deutsch „wickeln“ heißt. Und das Tuch kann auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen gewickelt werden. Dadurch kann es in vielen Lebenslagen verwendet werden: Als Rock, als Baby-Tragetuch, als Kopfbedeckung, als Handtuch… es ist unglaublich praktisch, nicht nur für die indirekte Kommunikation.

_©GEMEINSAM FÜR AFRIKA I Jannik Stützenberger

_©GEMEINSAM FÜR AFRIKA I Jannik Stützenberger

Quelle: Ambiguous signs: The role of the Kanga as a medium of communication, Rosemarie Beck (2001)